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SPD-Vertriebenenpolitiker in Schlesien auf den Spuren von Willy Brandt, Julius Leber und Ferdinand Lassalle

Allgemein

Christa Naaß legt mit Albrecht Schläger und Franz Maget Blumen am Grab von Ferdinand Lassalle nieder.

Maget: Regionen bestimmen Europas Zukunft - Schlesien kann eine besondere Region in Europa werden - Naaß: Es gibt in Polen keine Angst mehr vor Deutschland

Im Vorfeld des diesjährigen Empfangs für Heimatvertriebene, Flüchtlinge und Aussiedler, zu dem die SPD-Landtagsfraktion für 22. November in den Landtag einlädt hat, besuchte der Arbeitskreis Vertriebene der Landtags-SPD mit seiner Sprecherin Christa Naaß und Landtags-Vizepräsident Franz Maget an der Spitze in der Allerheiligen-Woche das südliche Polen. Nachdem die Schlesier diesmal im Mittelpunkt des SPD-Empfangs stehen, führte die Tour der Abgeordneten nach Ober- und Niederschlesien mit zahlreichen Besuchsstationen und Gesprächsterminen in Krakau, Auschwitz, Gleiwitz, Oppeln, Groß Stein, Breslau, Schweidnitz und Kreisau.

Neben Maget und Naaß gehörten zu der SPD-Besuchergruppe der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Volkmar Halbleib, der europapolitische Sprecher Dr. Linus Förster, die Abgeordneten Maria Noichl, Reinhold Perlak, Reinhold Strobl und Johanna Werner-Muggendorfer sowie der Vizepräsident des Bundes der Vertriebenen und frühere SPD-Landtagsabgeordnete Albrecht Schläger.

20 Jahre nach Abschluss des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrags und 20 Jahre nach Gründung des deutsch-polnischen Jugendwerks stießen die SPD-Politiker – wie Christa Naaß feststellt – auf praktische Beispiele der Aussöhnung; und immer wieder auch auf sozialdemokratische Spuren - ob am Grab von SPD-Gründungsvater Ferdinand Lassalle auf dem Jüdischen Friedhof in Breslau, wo Maget und Naaß einen Strauß rote Nelken niederlegten, beim Besuch der Internationalen Jugendbegegnungsstätte in Kreisau, wo ein Bild auch an Julius Leber als Mitglied der NS-Widerstandsgruppe „Kreisauer Kreis“ um Helmuth James Graf von Moltke erinnert, oder in der jüngsten Vergangenheit vor allem Willy Brandt, der vor über 40 Jahren mit der entscheidend von ihm initiierten Ostpolitik die Grundlage für die Aussöhnung und das heutige friedliche Miteinander der einstigen Feindstaaten Deutschland und Polen legte.

Selbst an den Stätten des Schreckens, im ehemaligen Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, gibt es – so Christa Naaß – mit der Internationalen Jugendbegegnungsstätte, wo die SPD-MdLs auch zu einem Gespräch mit dem Leiter Leszek Szuster zusammenkamen, positive Zeichen und Stätten des Erinnerns und der aktuellen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, die aus dem Grauen der Nazizeit in eine friedliche Zukunft weisen. „Seit dem Beginn der Friedenspolitik Willy Brandts und auch in den vergangenen sechs Jahren der EU-Mitgliedschaft Polens ist sehr viel Verständnis und Vertrauen gewachsen“, betont Naaß. „Es gibt keine Angst mehr in Polen, dass von Deutschland aus wieder eine Politik der Konfrontation und Aggression drohen könnte.“

Die SPD-Vertriebenensprecherin verweist auch auf die wichtige Arbeit der verschiedenen Organisationen und der im Laufe der Reise von den SPD-Abgeordneten besuchten Zentren wie der Internationalen Jugendbegegnungsstätte in Auschwitz, dem Haus für deutsch-polnische Zusammenarbeit in Gleiwitz mit ihrem Leiter Rafal Bartek, dem Verband der sozial-kulturellen Gesellschaften der Deutschen in Polen mit Bernhard Gaida und dem Vorsitzenden der Deutschen im Bezirk Oppeln, Norbert Rasch.

Besonders stellt Naaß auch die Arbeit der Kirchen heraus, wie sie besonders in Groß Stein bei einem Treffen mit dem früheren Erzbischof Prof. Alfons Nossol deutlich wurde, der als Mann der praktischen Aussöhnung und Brückenbauer zwischen den Ländern und Mittler zwischen den Konfessionen ein herausgehobene Rolle bei dem friedlichen Wandel spielte. Nossol zelebrierte am 12. November 1989 – drei Tage nach dem Fall der Berliner Mauer – in Anwesenheit der beiden damaligen Regierungschefs Tadeusz Mazowiecki und Helmut Kohl auf Gut Kreisau, einen Gottesdienst. Inzwischen gibt es dort, wo 1943/44 unter größter Geheimhaltung der „Kreisauer Kreis“ zur Vorbereitung einer neuen deutschen Regierung nach dem Ende der Hitler-Ära zusammenkam, eine deutsch-polnische Begegnungsstätte, von der die SPD-Delegation aus Bayern besonders beeindruckt war.

Naaß stellte heraus, „wie wichtig es ist, mit dieser sozio-kulturellen Arbeit des Erinnerns, des Erlebens und Bewahrens Brücken zu schlagen zwischen Geschichte und Gegenwart, zwischen West- und Osteuropa wie auch zwischen den Generationen. Und genau dafür gibt es Orte wie Kreisau, wo Verständigung aktiv gelebt wird und Zukunftsperspektiven entwickelt werden, wo alles auf das Miteinander und die Zukunft in einem gemeinsamen Europa ausgerichtet ist“. Als geradezu beispielhaft auch für andere Länder nannte Naaß das polnische „Gesetz über nationale und ethnische Minderheiten sowie die Regionalsprache“ von 2005. Darin könne man ein Vorzeigeprojekt sehen, das durchaus auf andere Länder übertragen werden könne.

Vize-Fraktionschef Halbleib führte eine Reihe von Maßnahmen auf, die auch von Bayern aus für die weitere Verbesserung des deutsch-polnischen Verhältnisses und besonders die Situation im südpolnischen Schlesien in Angriff zu nehmen seien – so eine Intensivierung der Jugendarbeit, insbesondere auch, was die finanzielle Ausstattung betrifft; hier könnte das bayerische Jugendprogramm einen Anknüpfungspunkt bieten. Angekurbelt werden könne der Deutschunterricht und die Ausbildung von Multiplikatoren, ebenso der Lehreraustausch mit deutschsprechenden Lehrkräften für bilinguale Schulen in Polen, von denen es im Raum Breslau bereits 17 gibt. Im zusammenwachsenden Europa sei durchaus auch denkbar, dass an einigen Schulen in Bayern Polnisch-Unterricht angeboten werde.

Im Blick auf die Fußball-Europameisterschaft 2012, die ab 8. Juni in Polen und der Ukraine stattfindet, wünscht sich Halbleib besonders für jugendliche Besucher im Vorfeld entsprechende Informationsangebote über historisch-politische und gesellschaftliche Zusammenhänge. Ähnlich dem Sudetendeutschen Haus in Prag sei auch an eine Kontakt- und Informationsstelle der Schlesischen Landsmannschaft in Breslau zu denken. Zu prüfen seien Möglichkeiten für einen Ausbau des Informationsangebots etwa bei Stiftungen und Akademien wie in Tutzing.

Landtags-Vizepräsident Maget verwies darauf, dass bis in die 60er Jahre die Heimatvertriebenen zum Grundverständnis der bayerischen Sozialdemokratie gehörten, was sich in Persönlichkeiten wie Volkmar Gabert zeigt. In den 70er und 80er Jahren orientierten sich die Vertriebenen dann stark in Richtung CSU um. „Es ist politisch von hohem Interesse, wie sich inzwischen und das seit Jahren die bayerische SPD bemüht, Brücken zu den Heimatvertriebenen zu bauen und etwa mit dem früheren Abgeordneten Albrecht Schläger sogar den Vizepräsidenten des Bundes der Vertriebenen stellt“, betont Maget. „Bei diesem Thema spielt die bayerische SPD eine besondere Rolle in ganz Deutschland und pflegt intensivere Kontakt zu den östlichen Nachbarn als alle anderen Landesverbände.“

Maget nannte es bemerkenswert, „in welch ruhiger Art in Polen das Thema deutsche Minderheit behandelt wird und wie die deutsche Minderheit mit den Regelungen offenbar zufrieden ist“. Dies sei eine gute Grundlage für die deutsch-polnischen Verhältnisse und auch für die europäische Zukunft, wobei er überzeugt sei, dass im künftigen Europa gerade die Regionen die entscheidende Rolle spielen werden. Maget: „Dieses Schlesien hat das Zeug, eine solche besondere Region in Europa zu werden.“